Der Besuch des Dudaryk-Knabenchors aus Lviv (Ukraine) vom 01.-03. März darf schon jetzt als einer der musikalischen wie menschlichen Höhepunkte des Chorjahres gelten.
Nachdem wir den Dudaryk-Knabenchor zum ersten Mal im Rahmen unseres 60-jährigen Jubiläums im Oktober 2022 und danach im Mai 2023 zu Gast hatten, konnten wir ihn jetzt zum dritten Mal in drei Jahren begrüßen. Schon das zeugt von einer intensiven Chorfreundschaft. Aber was bedeutet dieses doch abstrakte Wort “Chorfreundschaft” konkret?
Chorfreundschaft bedeutet zunächst: zusammen singen. Das taten wir dann auch als erstes, als der Dudaryk Knabenchor am Freitag, 01. März, nachmittags ankam. Das gemeinsame Repertoire umfasste zwei deutsche und zwei ukrainische Volkslieder sowie “Verleih uns Frieden gnädiglich” von Felix Mendelssohn Bartholdy. Die gemeinsame Probe verlief so produktiv, dass wir auf eine für den Folgetag angesetzte Probe verzichten konnten. Wir bewunderten das Sprachtalent unserer Gäste, die die beiden deutschen Volkslieder wie Muttersprachler sangen, darunter eines in schwäbischem Dialekt in einem zungenbrechenden Tempo. Dies ist umso erstaunlicher, als dass der Dudaryk Knabenchor direkt aus Lviv nach Göttingen kam, also bereits Donnerstag losgefahren war und eine Nachtfahrt hinter sich hatte.
Chorfreundschaft bedeutet aber auch, Begegnungen zwischen den einzelnen Sängern zu ermöglichen. Dies klappt am Besten, wenn der Gastchor in Familien des Gastgebers untergebracht ist. Wir sind froh, dass wir alle 50 Sänger des Dudaryk-Knabenchors in den Familien unserer Sänger beherbergen konnten. Nach der Probe am Freitagnachmittag verteilten wir unsere Gäste auf unsere Familien. Eine Gastmutter berichtete, dass zwar Sprachbarrieren bestanden, diese aber durch eine Runde Mario Kart auf der Switch problemlos überwunden werden konnten. Anderswo waren gemeinsame Sprachkenntnisse vorhanden, zumeist auf Englisch, manchmal auch auf Ukrainisch, Deutsch oder Polnisch. Jedenfalls war es für unsere Gäste der erste Abend seit langem ohne Sperrstunde und Raketengefahr, eine Erleichterung, die wir gar nicht ermessen können.
Während sich der Göttinger Knabenchor am nächsten Vormittag um 10 Uhr im Otto-Hahn-Gymnasium zu seinem regulären Probensamstag traf, hatte der Dudaryk-Knabenchor bis zum Mittagessen frei. Einige zogen in Kleingruppen durch die Innenstadt, andere verbrachten die Zeit bei frühlingshaftem Wetter auf dem Schulhof. Die von unseren Eltern geschmierten Brötchen für zwischendurch wurden sehr gut angenommen. Nach dem Mittagessen probten unsere Gäste für das abendliche Konzert in St. Paulus unter anderem mit Jugendlichen einer Göttinger Samstagsschule für ukrainische Geflüchtete. Dieser Programmpunkt war neu im Vergleich zu den vorigen Besuchen. Später kamen wir für unsere gemeiname Stellprobe zusammen. Währenddessen kam noch ein Redakteur des Göttinger Tageblatts vorbei und führte ein Interview mit drei Sängern des Dudaryk-Knabenchors.
Das Konzert begann pünktlich um 18 Uhr vor einer zum Bersten vollen St. Paulus-Kirche mit einem Grußwort von Bürgermeisterin Steinke (SPD). Danach machte der Göttinger Knabenchor den musikalischen Aufschlag. Den Hauptteil gestalteten unsere Gäste mit einem abwechslungsreichen Parforceritt durch die geistliche wie weltliche ukrainische Chormusik. Darunter war ein beeindruckendes Chorkonzert des Komponisten Maksym Berezovskyi über den 71. Psalm, aber auch ein Volkslied über einen Kosaken, der sich in den Krieg verabschiedet. Zum berühmten Freiheitslied “Red Virbunum” und zur Nationalhymne traten die Mitglieder der ukrainischen Samstagsschule mit auf. Schließlich gestalteten wir zusammen mit unseren Gästen die am Vortag geprobten Stücke. Auch dies bedeutet Chorfreundschaft: sie manifestiert sich in einem einzigartigen Klang.
Das Konzertprogramm zum Nachlesen:
Göttinger Knabenchor
Johann Jeep – Studentengärtlein-Zyklus (Auszüge):
– Musica, die ganz lieblich Kunst
– O utinam liceat tecum traducere vitam
– Musica noster amor
Dudaryk Knabenchor
Mykola Dyletskyi – Kyrie (Auszug aus einer Liturgie)
Maksym Berezivskyi – Chorkonzert No. 18
Mykola Lysenko – “Where shall I flee”
Ukrainian folk songs (arrangiert von Dmytro Katsal):
– “Across the seas”
– “Field above river”
– “A yellow bird” (Text: Hryhorii Skovoroda)
– “Moon on the sky”
Dudaryk Knabenchor & Mitglieder der ukrainischen Samstagsschule:
Red viburnum
Nationalhymne der Ukraine
Dudaryk Knabenchor & Göttinger Knabenchor
Deutsche Volkslieder, arrangiert von Franz Herzog:
– Schwefelhölzle
– Im Märzen der Bauer
Trad., arr. Hanna Havrylets – Maty Myloserda, ty jhesy ohrada
Trad., arr. Stanyslav Lyudkevych – Sontse Sya Skhovalo
Felix Mendelssohn Bartholdy – Verleih uns Frieden gnädiglich
Zugabe: trad. – Dona nobis pacem
Nach dem Konzert war ein Catering für ein gemeinsames Essen aller Mitwirkenden und ihrer Gasteltern im Gemeindesaal der Paulusgemeinde aufgefahren. Das Essen wurde begleitet von den beiden Männerchören, die sich gegenseitig Ständchen vorsangen. Für einige der älteren Männerchoristen hatte der Abend freilich erst begonnen; er fand seine Fortsetzung zunächst im Kleinen Ratskeller und endete in den frühen Morgenstunden in einer bekannten Göttinger Kellerbar.
Als dann am nächsten Morgen unsere Gäste von ihren Gastfamilien zur Busabfahrt gebracht wurden, war es Zeit, Abschied zu nehmen. Das fiel gar nicht so leicht: Eine unserer Knabenstimmen wollte sich anscheinend überhaupt nicht von seinen neu gewonnenen Freunden trennen und stieg einfach mit in den Bus unserer Gäste, aus dem wir ihn herausbitten mussten. Müsste man das Wort Chorfreundschaft in einer Szene abbilden, so wäre mit dieser Szene alles gesagt.
Über diesem Wochenende lag fern, aber doch unübersehbar der Schatten des Krieges, der schon über zwei Jahre dauert. Wir sind einerseits froh, unseren Gästen für drei Tage eine Pause ermöglicht zu haben, andererseits können wir nur hoffen, dass wir sie alle eines Tages unversehrt wiedersehen können.
Der Dudaryk Knabenchor setzt nun seine Tournee in Jena fort, wo er u.a. mit dem Knabenchor der Jenaer Philarmonie die 8. Sinfonie von Mahler aufführt. Anschließend besucht er den Pariser Knabenchor in Paris, den er vor zwei Jahren bei unserem Jubiläum kennenlernte. Wir hoffen, ihn bald wieder in Göttingen zu treffen, oder – noch besser – ihn in einem friedlichen Lviv zu besuchen.